Vorstandssitzung des Städtetags am 29. Juni 2015
Stuttgart.
In seiner Sitzung am 29. Juni im Stuttgarter Rathaus hat der Vorstand des
Städtetags Baden-Württemberg sich unter anderem mit Fragen der
Flüchtlingshilfe, mit dem Gesetzesentwurf zur Inklusion an Schulen, zur
Abschaffung der Altersobergrenze für Bürgermeister, Beigeordnete und
Landräte und abschließend mit der Novelle zur Gemeindeordnung
befasst. Ferner geht es um den aktuellen Kita-Streik
1. Kommunalinvestitionsförderungsgesetz
Von den durch Bundesgesetz festgeleg
ten Mitteln erhält Baden-Württemberg insgesamt (nur) 248 Mio. ,
d.h. ca 7% der Gesamtmittel im Gegensatz beispielsweise zu NRW mit über
13 %.
Aus baden-württembergischer Sicht wenig erfreulich ist der
Verteilungsschlüssel, der nicht nur nachvollziehbar a
uf Arbeitslosenzahlen und Finanzkraft abstellt, sondern auf die Höhe der
kommunalen Kassenkredite.
Der Städtetag fordert daher, bei künftigen Finanzgesetzen dieser Art
nur auf objektive Strukturkriterien abzustellen.
Bei der Verteilung der Mittel im Land wurde mit dem Ministerium für
Wirtschaft und Finanzen Einigkeit erzielt, dass die Mittel nicht als
zusätzliche Fachförderung ausgekehrt werden sollten.
Der Städtetag begrüßt daher, dass nur die dringend
erforderliche Breitbandverkabelung durch einen Sonde
rtopf von 40 Mio gefördert werden soll, ansonsten sowohl mit der
Dotierung des Ausgleichsstocks in Höhe von weiteren 40 Mio als auch
mit dem danach verbleibenden B
etrag von 168 Mio die weniger leistungsfähigen Kommunen in
Baden-Württembeg nach eigene
r Priorität im Rahmen der Vorgaben des Bundesgesetzes entscheiden
können, in welche Investitionen sie diese Förderung geben wollen.
2. Abschaffung der Altersobergrenze für Bürgermeister
Die Landtagsfraktion FDP/DVP hat einen Gesetzentwurf zur
Abschaffung der Altersobergrenze
für Bürgermeister, Beigeordnete und Landräte in den Landtag
eingebracht. Die bisherige Regelung in der Gemeindeordnung besagt, dass
Bewerber für Bürgermeisterwahlen am Wahltag das 65. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben dürfen. Mit Ablauf des Monats, in dem die
Amtsinhaber das 68. Lebensjahr vollenden, sind sie laut Landesbeamtengesetz
(§ 36 Abs. 4 und §41 Abs. 2) zu verabschieden. Diese
Altersobergrenzen sollen nach Auffassung der FDP ersatzlos gestrichen werden.
Die Landesregierung hat sich zu diesem Vorhaben noch nicht abschließend
positioniert, sondern die kommunalen Landesverbände angejhört.
Der Städtetag Baden-Württemberg hat das Thema in seinen Gremien
diskutiert. Er empfiehlt, auf die Kappung der letzten Amtszeit zu verzichten
und den Amtsinhabern zu ermöglichen, die vor dem 65. Lebensjahr begonnene
Amtszeit zu beenden. 3. Kita-Streik
Unter den vielen Themen, die den Städtetag Baden-Württemberg derzeit
beschäftigen, steht unter anderem der aktuelle Kita-Streik
ganz oben. Erst vor wenigen Wochen hat der Städtetag, der 184 Kommunen in
Baden-Württemberg vertritt, eine Eilumfrage unter seiner Mitgliedern
durchgeführt. Demnach lag der Anteil der vom Streik betroffenen
Städte zum Stichtag 19. Mai bei knapp 65 Prozent, durchschnittlich war in
diesen Städten bereits an sechs Betreuungstagen gestreikt worden.
Nachdem die Gewerkschaft in der Tarifauseinandersetzung nun den
Schlichterspruch abgelehnt hat, ist es aus Sicht des Städtetags umso
wichtiger, die nächsten Schritte sorgfältig zu bedenken, damit die
Situation nicht eskaliert. Der bisherige Streik hat nach Überzeugung des
Städtetags deutlich gemacht, dass sowohl die Öffentlichkeit als auch
die Betroffenen selber von den Gewerkschaften offenbar nicht ausreichend
informiert wurden, in welchem Umfang die kommunalen Arbeitgeber in den
vergangenen Jahren bei der Einstufung und der Bezahlung zugelegt und dadurch
ihre Wertschätzung für den Beruf und seine gestiegenen Anforderungen
gezeigt haben. Neben diesen Einkommensverbesserungen werden in den meisten
Städten beispielsweise auf freiwilliger Basis zudem auch
Weiterbildungsmaßnahmen und Leitungsstunden finanziert, also eine
Freistellung vom Gruppendienst zu Gunsten der Leitung einer Kita. Darüber
hinaus sind weitere konkrete Verbesserungen angeboten worden, die von der
Gewerkschaft bisher nicht aufgenommen worden sind.
Bei der Suche nach einer Lösung im Tarifkonflikt müssen die
kommunalen Arbeitgeber insbesondere auch auf die Ausgewogenheit mit den
übrigen Bereichen des öffentlichen Dienstes achten. Vielen ist
offenbar nicht klar, dass die Berufsgruppe der Erzieherinnen wie alle
kommunalen Beschäftigten in der Lohnrunde 2014 eine Erhöhung um
immerhin 5,7 Prozent bekommen haben. Zudem sind in den vergangenen Jahren durch
eine Erweiter
ung der verschiedenen Berufsgruppen und Investitionen in ein neues
Ausbildungsmodell für die Erziehungsberufe einige Verbesserungen erreicht
worden. So bewegen sich die Gehälter derzeit zwischen 2100 für
Kinderpflegerinnen ohne Berufserfahrung und 4450 für
Leitungskräfte. Insgesamt sind die Gehälter für die nach 2005
eingestellten Erzieherinnen und Erzieher um bis zu 33 Prozent gestiegen. Eine
pauschale und nicht an konkreten Tätigkeitsmerkmalen orientierte Anhebung
der Gehälter wäre den Vergleichsgrupp
en nicht zu vermitteln, die ebenfalls für die Gemeinschaft wichtige
Aufgaben leisten, angefangen von der Feuerwehr über Sozialämter und
auch der allgemeine Verwaltungsdienst.
4. Novellierung des Kommunalverfassungsrechts
Mit der vorgelegten Novelle zur Gemeindeordnung will die grün-rote
Landesregierung zahlreichenVeränderungen in der kommunalen Praxis
durchsetzen. Sie will Fraktionen im Gemeinderat ausdrücklich zulassen und
ihnen starke Rechte geben, z.B. zur Erzwingung von Tagesordnungspunkten
für die Gemeinderatssitzungen. Ursprünglich wollte sie die
öffentliche Vorberatung in den Ausschüssen zur Regel machen. Nach
eigenem Bekunden will sie mit der Absenkung des Quorums für die
Bürgerentscheide von 25 auf 20 % die Bürgerbeteiligung stärken.
Der Städtetag hat sich ebenso wie der Gemeindetag gegen diese
weitreichenden Reformen ausgesprochen, weil sie die Kommunen unnötig
gängeln und ihnen Verfahrensweisen zwingend vorschreiben, über deren
Sinn vor Ort besser entschieden werden kann. Die Einführung von
Bürgerentscheiden in der Bauleitplanung hält er für
kontraproduktiv und angesichts der zwingenden Regeln zur
Bürgeranhörung im Baugesetzbuch auch für unnötig.
In Verhandlungen mit den Regierungsfraktionen konnte der Städtetag
erreichen, dass einige besonders schwerwiegende Verstöße gegen die
kommunale Selbstverwaltung aus dem Gesetzesentwurf gestrichen werden. So gibt
es keinen Zwang zur öffentlichen Vorberatung. Aus der verpflichtenden
öffentlichen Vorberatung wurde eine Kann-Bestimmung. Die Einberufung der
Gemeinderatssitzung kann nach wie vor nur mit einem Quorum, d.h. einem Sechstel
der Stimmen des Gemeinderats verlangt werden. Wichtig für eine
bürgernahe und effiziente Verwaltung ist die Zusage, dass künftig die
Kommunen in der Hauptsatzung selnst festlegen können, ob die amtlichen
Bekanntmachungen im Internet erfolgen sollen.
Kein Entgegenkommen zeigten die Regierungsfraktionen bei der Forderung, dieses
Quorum auch für die Beantragung eines Tagesordnungspunktes vorzusehen.
Der Städtetag hält ungeachtet der gefundenen Einigung in einigen
Punkten insbesondere an diesen beiden Forderungen unverändert fest. Aus
Sicht des Verbandes legen die Erfahrungen aus einigen Städten nahe, dass
die sachorientierte Konsenskultur in baden-württembergischen Städten
und in den Gemeinderäten leidet, wenn Minderheitenrechte in Rat oder
Bürgerschaft über Gebühr ausgedehnt werden.
Es geht dabei nicht, wie verschiedentlich behauptet, um eine Monopolisierung
der Macht der Verwaltung, vielmehr eine Balance von Verfahrensrechten.
5. Inklusion an Schulen
Der Vorstand hat begrüßt, dass der nun vorliegende Gesetzesentwurf
zum Inklusionsgesetz die Anregungen des Städtetags aufnimmt und damit auch
das in der letzten Sitzung des Vorstands postulierte Junktim zwischen einer
guten und klaren Regelung im Schulgesetz und den auisgehandelten
Finanzierungsregeleungen berücksichtigt.
Der Städtetag hatte seine Zustimmung zum in der Sache bereits verhandelten
Finanzierungsgesetz daran geknüpft, dass das Schulgesetz klar regelt, wie
der Anspruch auf Inklusion ausgestaltet ist. Der Vorstand begrüßt,
dass wie gefordert, kein Anspruch auf Zuweisung an eine konkrete Schule und
in eine bestimmte Schulart besteht, sondern nur auf die Beschulung in einer
allgemeinen Schule. Er begrüßt ferner, dass es keinen Vorrang der
Inklusion gibt, sondern allgemeine und inklusive Beschulung nach dem Gesetz
gleichrangig sind und damit bis auf weiteres der Bestand der hervorragenden
Sonderschulsysems im Land nicht gefährdet sein dürfte.
Die ausgehandelte Finanzierungsvereinbarung geht davon aus, dass maximal 28
Prozent der Sonderschüler/innen an allgemeine Schulen wechseln und damit
die Inklusionsoption annehmen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf war
gegenüber darauf ausgerichtet gewesen, dass die überwiegende Mehrheit
der Sonderschüler/innen an allgemeine Schulen wechseln.
Der Städtetag hat ursprünglich gefordert, wenigstens für die
ersten Jahre der Inklusion Schwerpunktschulen mit dem Ziel festzulegen, an
diesen ersten Standorten die Inklusion kraftvoll voranzubringen. Eine solche
Aufbauphase, auf die auch andere Bundesländer setzen, hätte die
anderen Schulen im Land keinesfalls von der notwendigen Inklusionspflicht, die
weiterhin für sämtliche Einrichtungen bestehen bleiben soll.
Lediglich die Umsetzung würde auf diesem Weg zunächst auf bestimmte
Schulen konzentriert werden. Der Vorstand akzeptiert vor dem Hintergrund der
nun klaren Regelung und der eindeutigen Aussagen des Kultusministers, dass die
gruppenbezogene Inklusion unter Mitwirkung der Schulträgers im Ergebnis in
dieselbe Richtung gehen soll.
6. Aktuelle Fragen der Flüchtlingshilfe
Wie bei nahezu jeder Gremiensitzung des Städtetags befasst sich auch der
Vorstand mit aktuellen Fragen der Flüchtlingshilfe.
Geeinigt haben sich Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und der
Landesregierung bei der Frage der Flüchtlingspauschalen
. Dabei konnte eine pragmatische, für die Kommunen auskömmliche
Erstattung der Ausgaben vereinbart werden. Diese sieht vor, wie bereits
für 2014 auch für das laufende Jahr, eine erneute
Plausibiliätsprüfung der Pauschalenhöhe mit rückwirkender
Festlegung der Liegenschaftspauschalen vorzunehmenden. Damit ist für die
Jahre 2014 und 2015 bezüglich der Liegenschaftskosten ein
vollständiger Kostenausgleich gewährleistet. Für die Folgejahre
ist offen, ob der Kostenausgleich wie bisher in Form von Pauschalen oder einer
Spitzabrechnung erfolgen soll.
Beim Thema Gesundheitskosten der Flüchtlinge wurde vereinbart,
zunächst das Ergebnis der bundesweiten Bemühungen zur Einführung
einer Gesundheitskarte abzuwarten. Sollte dies im Sommer 2015 nicht gelingen,
prüft das Land die Einführung einer eigenen Gesundheitskarte. In
beiden Fällen wird eine direkte Kostenerstattung zwischen Bund
beziehungsweise Land und den gesetzlichen Krankenkassen angestrebt. Sollten
beide Lösungen nicht zum Tragen kommen, werden Land und kommunale Seite
über eine anderweitige Kostenerstattung verhandeln.
Berücksichtigt werden muss dabei, dass die derzeitigen Pauschalen fiktiv
von einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer der Flüchtlinge von 18
Monaten ausgehen, also auf einen Zeitraum von 18 Monaten gedeckelt sind. Bayern
und die meisten anderen Bundesländer kennen diese Decklung nicht, sondern
bezahlen nach konkreter Aufenthaltsdauer und schließen dabei auch die
geduldeten Flüchtlinge ein, wenn sie nach Abschluss des Asylverfahrens
nicht abgeschoben werden.
Der Städtetag fordert, dass dies bei der künftigen Pauschale
ebenfalls berücksichtigt wird. Derzeit ist die durchschnittliche
Aufenthaltsdauer deutlich höher und geduldete Personen werden nicht
berücksichtigt, obwohl die Städte und Gemeinden keinerlei Einfluss
auf die Dauer des Asylverfahrens nd die Abschiebung haben.
Hier muss schnellstens Abhilfe geschaffen werden durch
Einstellung der vom Bund zugesagten Entscheider beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge,
durch Einstellung von Richtern bei den Verwaltungsgerichten und
durch Rückführung der Flüchtlinge nach Abschluss des Verfahrens.
Solange die Aufentahltsdauer deutlich über der gesetzlichen Fiktion liegt,
muss die Landesregierung förmlich anerkennen, dass die gesetzlich
festgelegte Größe der Flüchtlingsunterkünfte von 7 qm pro
Person unterschritten werden kann.
Bezüglich der Anschlussunterbringung begrüßt der Vorstand die
Zusage der Landesregierung, die für den Bau von
Flüchtlingsunterkünften zugesagte Förderung zu beschleunigen und
die für 2016 vorgesehene zweite Rate auf 2015 vorzuziehen.
Dies kann jedoch nur eine Soforthilfe sein.
Insbesondere für Gebiete mit angespann
ter Wohnraumsituation ist es dringend erforderlich, die Förderung für
den Bau von Flüchtlingsunterkünften und den allgemeinen sozialen
Wohnungsbau zu verknüpfen. Auf Dauer ist es gesellschaftlich nicht
hinnehmbar und wird die Stimmung belasten, wenn Flüchtlinge neue Wohnungen
zugewiesen bekommen und die angestammte Bevölkerung keine Chance auf eine
angemessene Sozialwohnung erhält.
Der Vorstand des Städtetags fordert daher
Die Förderung von sozialem Wohnungsbau und Flüchtliungsbauten zu
verknüpfen
Dafür deutlich mehr Mittel zur Verfügung zu stellen und
Die Höhe der Förderung sowohl an der Anzahl der Flüchtlinge als
auch an der allgemeinen Wohnraumsituation (z.B. Gebietsabgrenzung wie bei der
Mietpreisbremse) zu bemessen
Durch das Institut der mittelbaren Belegung sicherzustellen, dass
Flüchtlinge nicht nur in den neuen Gebäuden untergebracht werden
müssen.
Der Städtetag wird diesbezüglich der Landesregierung Vorschläge
unterbreiten und dabei mit dem Verband der Wohnungswirtschaft und der
Architektenkammer zusammenarbeiten. gez.
Gudrun Heute-Bluhm Oberbürgermeisterin a. D. |
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