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Vorstandsmitglied

Bearbeiter
Norbert Brugger
E
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T 0711 22921-
13
F 0711 22921-42
Az
270.0 •  Br  


18.03.2015 
Inklusive Bildungsangebote in Baden-Württemberg
Anhörung zur Änderung des Schulgesetzes für BW und anderer Vorschriften
 
Ihr Schreiben vom 25.02.2015, Az. 31-6400.4/242/4
 
 

Sehr geehrte Damen und Herren,
 
Sehr geehrte Damen und Herren,
 
wir nehmen zum oben genannten Gesetzentwurf wie folgt Stellung.
 
I. Generelle Forderung
 
Vor unseren Äußerungen zu einzelnen Passagen des Entwurfs müssen wir konstatieren, dass er die Grundlage der Verhandlungen zwischen dem Land und den Kommunalen Landesverbänden zur Inklusionsfinanzierung leider nicht widerspiegelt. Der Städtetag knüpft seine Zustimmung zur Finanzierung der schulischen Inklusion aber an ein für die Städte und Gemeinden akzeptables Inklusionsgesetz des Landes.
 
Die ausgehandelte Finanzierungsvereinbarung geht davon aus, dass maximal 28 Prozent der Sonderschüler/innen an allgemeine Schulen wechseln und damit die Inklusionsoption annehmen. Der Gesetzentwurf ist demgegenüber darauf ausgerichtet, dass die überwiegende Mehrheit der Sonderschüler/innen an allgemeine Schulen wechselt. Siehe dazu die Begründung zu § 15 Abs. 2 des Entwurfs: „Es werden die allgemeinen Schulen als vorrangige schulische Orte der sonderpädagogischen Beratung, Unterstützung und Bildung benannt; dementsprechend wird der subsidiäre Charakter der Bildungs­angebote der sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (Anmerkung des Städtetags: gemeint sind die jetzigen Sonderschulen) für die Schüler mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot betont.“
 
Diese klare Präferenz für Inklusion gegenüber Sonderschulen hat die Landesseite in den Verhandlungen nie artikuliert. Stattdessen sind alle Seiten stets von einem maximal 28-prozentigen Anteil an Inklusionsschülern ausgegangen – auch in den Kalkulationen zu den Verhandlungen.
 
Der Gesetzentwurf bestätigt diese grundlegend von den Verhandlungen abweichende Entwicklungszielvorgabe an anderen Stellen. So wird in der Entwurfsbegründung zum Ausdruck gebracht, dass die Schulaufsichtsbehörden von der Wunschschulart und konkreten Wunschschule der Erziehungsberechtigten für ihre Kinder mit Behinderung nur unter „engen Voraussetzungen“ abweichen dürfen. Kommuniziert worden ist hingegen von Landesseite, dass sich das Elternwahlrecht nur auf die generelle Entscheidung über den Besuch einer Sonderschule oder einer allgemeinen Schule erstreckt, also nicht auf eine bestimmte Schulart und einen bestimmten Schulort.
 
Natürlich würde der Städtetag den Eltern auch gerne mehr Wahlmöglichkeiten versprechen. Aber er verspricht nichts, was nicht zu halten ist. Die von Landesseite propagierte gruppenbezogene Inklusion passt nicht zu derart weitreichenden Elternrechten. Die Realität ist vielmehr: Wenn fünf Kinder in einer Gruppe gemeinsam beschult werden sollen und deren Eltern fünf unterschiedliche Vorstellungen über den Schulort haben, müssen mindestens vier der fünf Eltern auf ihren Wunschort verzichten. Damit sind Enttäuschungen und Unmut vorprogrammiert.
 
Auch deshalb ist es wichtig, dem Kompromissvorschlag des Städtetags zu folgen und wenigstens für die ersten Jahre der Inklusion Schwerpunktschulen festzulegen. Schwerpunktschulen sorgen für Klarheit auf allen Seiten und dafür, die Inklusion an den ersten Inklusionsstandorten kraftvoll voranzubringen. Wir verstehen das Anliegen des Landes, alle Schulen in der Pflicht zur Inklusion zu halten. Mit einer übergangsweisen Festlegung von Schwerpunktschulen gerade in der besonders herausfordernden Aufbauphase der Inklusion kann und soll diese Pflicht für alle Schulen auch bestehen bleiben. Nur deren Umsetzung wird zunächst auf bestimmte Schulen konzentriert. Anders geht es nicht, auch nicht in anderen Bundesländern. Wir sehen im Übrigen auch auf Landesseite die Notwendigkeit einer solchen befristeten Bündelung, da entsprechend fortgebildete Lehrkräfte nicht allerorten vorhanden sind.
 
 
 
II. Forderungen in Bezug auf den Gesetzentwurf
 
1. Elternwahlrecht und Schulortfestlegung eindeutig und transparent regeln
 
Es ist für alle Seiten, vor allem aber für die Eltern wichtig, das Schulwahlrecht für Kinder mit Behinderung eindeutig und transparent zu regeln. Nur so können Missverständ­nisse und Enttäuschungen vermieden werden, die schlimmstenfalls vor Ort in den Kommunen und deren Schulen eskalieren.
 
Das Elternwahlrecht soll nach § 83 Abs. 2 Schulgesetz auf die Entscheidung begrenzt bleiben, ob ein Kind in einer Sonderschule (künftig „Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum“ - SBBZ) oder inklusiv unterrichtet wird. Es gibt also keinen Anspruch auf Beschulung in einer bestimmten Schulart. Das ist schlüssig, weil der inklusive Unterricht zieldifferent erteilt wird und daher mit keinem der Bildungspläne bzw. Niveaustufen weiterführender Schulen korreliert. Es gibt ferner keinen Anspruch auf Beschulung in einer bestimmten Schule.
 
Diese Einschränkungen sind erforderlich, um die vorgesehene „gruppenbezogene Inklusion“ vollziehen zu können. In diesem Rahmen erfüllen Schulen und Schulträger ihre Aufgabe, Elternwün­sche weitest­möglich zu berücksichtigen.
 
Dadurch entsteht eine Gleichstellung mit der Beschulung von Kindern ohne Behinderung. Auch deren Eltern haben keinen Anspruch auf eine ganz bestimmte Schule. Sind die Klassen in deren Wunschschule beispielsweise bereits voll belegt, greifen die Regelungen zum sogenannten Klassenausgleich mit der Folge, dass ihre Kinder an anderen Schulen in zumutbarer Entfernung, die noch Kapazitäten frei haben, unterrichtet werden.
 
Es ist deshalb andererseits nicht zielführend, sondern irreführend, wenn in den §§ 3 und 15 Schulgesetz festgestellt wird, alle Schulen seien Inklusionsschulen und müssten für Kinder mit allen Behinderungsarten gewappnet sein, sofern es sich nicht um gymnasiale Oberstufen oder Berufliche Schulen handelt. Solche Bestimmungen wecken Erwar­tun­gen, die sich nicht erfüllen lassen und erzeugen ggf. Enttäuschungen, die vermeidbar sind und in verletzende Auseinandersetzungen münden können. Die Eskalation am Gymnasium Walldorf vor Beginn des Schuljahrs 2014/15 belegt dies eindrücklich.
 
Wir fordern daher, die §§ 3 und 15 Schulgesetz entsprechend zu ändern. Siehe dazu auch Abschnitt 2. Änderungen sind ferner in korrelierenden Bestimmungen erforderlich:
 
-   § 83 Abs. 3 letzter Satz ist wie folgt zu ergänzen (Ergänzung in Kursivschrift): „Das Wahlrecht der Erziehungs­berechtigten besteht nicht im Hinblick auf einen bestimmten Schulort und eine bestimmte Schulart, nicht auf eine Internatsunterbringung sowie …“.

-   § 83 Abs. 4 Schulgesetz intendiert den grundsätzlichen Anspruch auf eine bestimmte Schule. Die Entwurfsbegründung zu diesem Absatz bekräftigt dies mit folgendem Satz: „Es werden die engen Voraussetzungen beschrieben, unter denen die Schulaufsichtsbehörde von der Wahl der Erziehungsberechtigten hinsichtlich Schulart (…) und Schulort abweichen kann.“ Das widerspricht § 83 Abs. 2 Schulgesetz und wiederholten Ankündigungen des Kultusministeriums.
 
2. Schwerpunktschulfestlegungen zumindest in der Startphase der Inklusion
 
Zum „wesentlichen Inhalt“ des Gesetzesvorhabens zählt gemäß Abschnitt B des Vorblatts, dass Inklusion pädagogische Aufgabe aller Schulen ist. Dies findet insbesondere in § 15 Abs. 1 Schulgesetz („ist Aufgabe aller Schulen“) in Verbindung mit § 3 Abs. 3 Schulgesetz („In den Schulen wird allen Schülern ein barrierefreier und gleichberechtigter Zugang zu Bildung und Erziehung ermöglicht. Schüler mit und ohne Behinderung werden gemeinsam erzogen und unterrichtet (inklusive Bildung)“) Ausdruck. Siehe ferner in der Entwurfsbegründung auf Seite 30: „Das geänderte Schulgesetz ermöglicht es deshalb, dass in Zukunft an allen Schulen und Schularten grundsätzlich inklusive Bildungsangebote für Schüler mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot eingerichtet werden...“.
 
 
 
Anders als in anderen Bundesländern soll auf Schwerpunktschulfestlegungen verzichtet werden. Daher sind höhere Inklusionskosten als in anderen Bundesländern zu erwarten. Dabei wird im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung andererseits festgestellt, dass sich „die gesetzliche Verankerung inklusiver Bildungsangebote in völkerrechtlich zulässiger Weise auch an den gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen“ zu orientieren hat.
 
Die fehlende Ermächtigung, Schwerpunktschulen für die Inklusion festzulegen, macht es zudem unmöglich, den Ausbau inklusionsgerechter Schulen proaktiv und effektiv im Rahmen der allerorten laufenden Regionalen Schulentwicklungsprozesse vorzunehmen. Viele Schulen mit freigewordenen Kapazitäten und deren Träger wären sicher bereit und hochmotiviert, sich entsprechend weiterzuentwickeln. Sogar ein regelrechter Wettbewerb um Inklusion könnte die Folge sein und deren Anliegen damit nachdrücklich unterstützen. Für Eltern wäre durch die Festlegung von Schwerpunktschulen frühzeitig erkennbar, wo ihre Kinder unter welchen Voraussetzungen beschult werden können. Das ist wichtig.
 
Die Notwendigkeit einer regionalen Schulentwickung bei der Inklusion wird im Übrigen auch im Gesetzentwurf selbst postuliert. Siehe hierzu § 83 Abs. 3 Satz 2: „Die Beratung der Erziehungsberechtigten erfolgt hierbei (Anmerkung: gemeint ist die Bildungswegekonferenz) auf der Grundlage einer raumschaftsbezogenen Schulangebotsplanung , die mit den von der Erfüllung des Anspruchs berührten Schulen, Schulträgern und Leistungs- und Kostenträgern (berührte Stellen) abgestimmt wird.“
 
Weshalb sich das Land dennoch und selbst in der ohnedies besonders herausfordernden Einführungsphase der Inklusion einem solchen Schwerpunktschulkonzept verweigert, ist daher nicht nachvollziehbar. Die Landesseite hat unserem wiederholten Insistieren für ein solches Konzept stets entgegengehalten, de facto werde auch in Baden-Württemberg nicht jede Schule Inklusions­schule werden. Über die Bildungswegekonferenzen lasse sich dies entsprechend steuern.
 
Angesichts der zitierten Passagen der §§ 3 und 15 dürfte dies in Konfliktfällen rechtlich und praktisch allenfalls bedingt umzusetzen sein. Es kann zudem großen Aufwand und erheblichen Unmut erzeugen. Gegenüber den Kindern und Jugendlichen mit Behinderung und deren Eltern wäre es in jedem Falle unfair, per Gesetz etwas zu suggerieren, ohne dessen Realisierung zu beabsichtigen.
 
Wir fordern daher, die Gesetzgebung in Einklang mit den Absichten und Gegebenheiten in den Schulen zu bringen, die – auch mangels entsprechend fortgebildeter Lehrkräfte – nicht allerorten angemessenen inklusiven Unterricht ermöglichen. Hierzu schlagen wir als Kompromiss ein Schwerpunktschulkonzept für die ersten vier Schuljahre nach Inkrafttreten des Gesetzes vor. Aufgrund der Erkenntnisse aus der Evaluation dieser Einführungs­phase soll über die Zukunft dieses Konzepts entschieden werden.
 
Dass ein solches gestuftes Vorgehen nicht nur den Realitäten gerecht würde, sondern auch in Einklang mit der UN-Behinderten­rechtskonvention stünde, belegt der Gesetzentwurf selbst. Im allgemeinen Teil von dessen Begründung wird ausdrücklich auf Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg verwiesen, wonach bei der Umsetzungsgeschwindigkeit der UN-Ziele „die verfügbaren Mittel berücksichtigt werden können“.
 
Sollte dieses Kompromissangebot keine Zustimmung finden, müsste zumindest eine Bestimmung in das Gesetz aufgenommen werden, wonach in den Schulen in aller Regel gruppenbezogen inklusiv unterrichtet wird und Standortfestlegungen primär auch für gruppenbezogene Inklusionen in Folgejahren herangezogen werden . Damit würden Ankündigungen von Landesseite zur künftigen Inklusionspraxis gesetzlich fixiert.
 
3. Schulträgerposition in Bildungswege- und Berufswegekonferenzen präzisieren
 
Wir gehen davon aus, dass die Bildungswegekonferenzen in manchen Fällen für die Schulträger gravierende Entscheidungen zu treffen haben, es aber auch eine größere Zahl an Fällen geben wird, von denen Schulträger nicht unmittelbar berührt sind, weil bereits vorhandene Schulen ohne (großen) Zusatzaufwand für Inklusionsmaßnahmen genutzt werden können.
 
Um ein effektives Arbeiten der Bildungswegekonferenzen und der kommunalen Schulträger sicherzustellen, muss die Schulträgerrolle in den Konferenzberatungen und bei den Konferenzentscheidungen näher geregelt werden. Die Schulträger sollen danach zur Mitwirkung und Mitentscheidung in allen Bildungswegekonferenzen eingeladen werden, verbunden mit einer Angabe der einladenden Behörde zur Schulträgerrelevanz der jeweiligen Konferenz aus ihrer Sicht. Die Konferenzteilnahme soll den Schulträgern anheim gestellt bleiben. Bei Fällen, aus denen von vornherein kein Schulträgerzusatzaufwand ersichtlich ist, brauchen Schulträger nicht mitzuwirken. Andererseits sollen Maßnahmen gegen ein ausdrückliches Schulträgervotum in aller Regel von den Bildungswegekonferenzen nicht beschlossen werden können.
 
Entsprechende Regelungen sind auch für die Berufswegekonferenzen zu treffen. Siehe dazu ferner Abschnitt 5.
 
4. Gleichstellung von Unterricht an allgemeinen Schulen und Sonderschulen/SBBZ
 
Eltern sollen gemäß § 83 Abs. 2 Schulgesetz für die Unterrichtung ihrer Kinder mit Behinderung eine Wahlmöglichkeit zwischen allgemeiner Schule und SBBZ erhalten. Siehe unsere Ausführungen hierzu in Abschnitt 1.
 
Die vierjährige Schulversuchsphase zur Inklusion in fünf Schwerpunktregionen des Landes hat offenbart, dass sich etwa drei Viertel der Eltern für den Verbleib ihrer Kinder in der seitherigen Sonderschule entschieden und etwa ein Viertel für inklusiven Unterricht an allgemeinen Schulen. Auf diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis – konkret einer Wahrnehmung der Inklusionsoption für 28 Prozent der Sonderschüler/innen – beruhen die der Gesetzgebung zugrundeliegenden Kostenprognosen des Landes und der Kommunalen Landesverbände sowie deren auf diesen Prognosen basierende Finanzierungsvereinbarung.
 
§ 15 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 Schulgesetz intendieren hingegen das Gegenteil. Mit diesen Bestimmungen werden „die allgemeinen Schulen als vorrangige schulische Orte der sonderpädagogischen Beratung, Unterstützung und Bildung benannt; dementsprechend wird der subsidiäre Charakter der Bildungsangebote der sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren für die Schüler mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungs­angebot betont“, so die Gesetzesbegründung.
 
Diese Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses missachtet somit den mehrheitlichen Elternwillen. Sie dürfte bei Eltern Druck erzeugen, ihr Kind inklusiv beschulen zu lassen, wiewohl sie nicht davon überzeugt sind, dass dies die bessere Alternative für das Kind ist. Und diese Umkehrung kann beim Großteil jener Eltern, die ihre Kinder weiterhin an Sonderschulen bzw. SBBZ beschulen lassen möchten, Ängste um den Fortbestand dieser von ihnen geschätzten Einrichtungen schüren.
 
Zur Sicherstellung einer nur am Kindeswohl orientierten Elternwahl fordern wir daher, die einseitige Parteinahme durch eine neutrale Darstellung der beiden Beschulungsoptionen in § 15 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 Schulgesetz zu ersetzen. Nur durch eine neutrale Darstellung der beiden Optionen behalten überdies die Berechnungen von Land und Kommunalen Landesverbänden zu den Kostenfolgen der Inklusion ihre Grundlage. 
 
In der Konsequenz muss auch § 72 Abs. 2 Satz 2 Schulgesetz gegenüber der in Artikel 1 Nr. 22 vorgesehenen Fassung umformuliert werden. Er soll wie folgt lauten: „Die Schulpflicht wird auch durch den Besuch eines sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums erfüllt.“
 
5. Inklusion an Beruflichen Schulen
 
Ausweislich des Abschnitts „Wesentlicher Inhalt“ des Gesetzentwurfs und der Verhandlungen zwischen Land und Kommunalen Landesverbänden zur Gesetzgebung und Finanzierung der Inklusion sind Berufliche Schulen nicht Gegenstand der Inklusionsgesetzgebung.
 
Der zweite Halbsatz in § 15 Abs. 4 scheint dies so zu regeln, denn er nimmt die Bildungs­­gänge beruflicher Schulen von zieldifferentem Unterricht aus. In § 15 Abs. 1 Satz 3 wird andererseits darauf abgehoben, sonderpädagogische Beratung, Unterstützung und Bildung ziele „auch auf die bestmögliche berufliche Integration“. Als Beispielsfall wird in der Geset­zes­begründung die Aufnahme von Jugendlichen mit Behinderung in berufsvorbereitende Bildungsgänge beruflicher Schulen, die der Vorbereitung auf eine Ausbildung oder berufliche Tätigkeit dienen, genannt. Berufswegekonferenzen sollen das Beratungs- und Entschei­dungsverfahren hierfür übernehmen und kommunale Schulträger sowie andere „Leistungs- und Kostenträger“ einbeziehen, zu denen ebenfalls Kommunen zählen.
 
Mit dieser verfahrenstechnischen Gleichsetzung von Bildungswegekonferenzen für Inklusion an allgemeinen Schulen und Berufswegekonferenzen verschwimmt die Grenze zwischen zielgleicher Integration und zieldifferenter Inklusion an Beruflichen Schulen. Die Integration an Beruflichen Schulen wird zudem gegenüber dem aktuellen Schulgesetz erweitert.
 
Wir wenden uns hiergegen nicht grundsätzlich. Diese Aspekte sind allerdings in die Verhandlungen zwischen Land und Kommunalen Landesverbänden zur Inklusion und deren Finanzierung nicht eingeflossen. Daher behalten wir uns je nach Evaluationsergebnis zur Finanzierung ausdrücklich vor, ggf. Nachforderungen für diesen Bereich zu stellen.
 
6. Datenschutzregelungen
 
Die vierjährigen Schulversuche in den fünf Schwerpunktregionen des Landes haben deutlich gemacht, dass viele Eltern nicht bereit sind, der Verwendung von Daten zu den Kosten der inklusiven Unterrichtung ihrer Kinder mit Behinderung zuzustimmen. Angaben hierzu werden jedoch vollständig benötigt, um ein komplettes Bild von den Kosten­folgen der Inklusion zu erhalten. Land und Kommunale Landesverbände haben eine entsprechende Evaluation der Inklusionsfinanzierung vereinbart.
 
In diesem Gesetz oder im korrespondierenden Gesetz zur Finanzierung der Inklusion an Schulen sind deshalb Datenschutzregelungen zu treffen, welche die vollständige Erfassung der Kosten für alle Inklusionsfälle ermöglichen.
 
7. Einfachere und eingängigere Bezeichnungen für die seitherigen Sonderschulen

Die Gesetzgebung zur Inklusion an Schulen begründet einen Pardigmenwechsel bei der Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung, da die Sonderschulpflicht abgeschafft und die Schulpflicht aller Kinder und Jugendlichen damit vereinheitlicht wird. Diese von uns befürwortete Vereinheitlichung soll auch dadurch vollzogen werden, dass die seitherigen Begriffe „Sonderschule“ und „Förderschule“ abgeschafft werden, wiewohl sie mit neuen Funktionen als Orte des Unterrichtens und der Unterstützung des inklusiven Unterrichtens allgemeiner Schulen erhalten bleiben.
 
Nach Artikel 1 Nummern 2 und 3 soll daher der seitherige Begriff „Sonderschule“ durch den Begriff „Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum“ und der seitherige Begriff „Förderschule“ durch den Begriff „Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt Lernen“ ersetzt werden. Der in Artikel 1 Nr. 5 vorgesehene § 15 Abs. 2 letzter Satz Schulgesetz bewirkt, dass die Bezeichnungssystematik für Förderschulen auch bei den anderen Typen der weiterentwickelten Sonderschulen Anwendung findet. Es wird demnach künftig z. B. „Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren mit Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung“ geben.
 
Bezeichnungen bzw. Namen können verbindend und identitätsstiftend wirken. Gerade bei Schulen ist dies besonders wichtig. Mit den vorgesehenen komplizierten neuen Bezeich­nungen lässt sich diese Wirkung aber nicht erzielen. Weil sie zudem unhandlich sind, wird die Praxis Abkürzungen für sie verwenden müssen. Mit Kurzbezeichnungen wie „SBBZ X-Stadt“, „SBBZFL Y-Gemeinde“ oder SBBZESE Z-Kreis“ werden diese Schulstandorte noch anonymere Namen erhalten.
 
Damit wird das Gegenteil dessen erreicht, was bezweckt ist. Wir regen deshalb an, einfachere und eingängigere neue Schulart- bzw. Schultypenbezeichnungen festzulegen.
 
8. Inkrafttreten des Gesetzes und Gesetzesanwendung vor dessen Inkrafttreten
 
Das Gesetz soll zum 01.08.2015 in Kraft treten, tatsächlich aber laut Schreiben des Kultusministers an alle Schulen vom 10.03.2015 auf Grundlage des Gesetzentwurfs schon für die vor dem 01.08.2015 stattfindenden Einschulungsverfahren zum Schuljahr 2015/16 Anwendung finden.
 
Eine derartige Fiktion kann nur auf freiwilliger Basis praktiziert werden. Sie müsste folglich mit allen Betroffenen abgestimmt sein, also insbesondere auch mit den kommunalen Schulträgern bzw. ihren Verbänden. Dies ist jedoch nicht erfolgt. Auch dem Gesetzentwurf sind keine Ausführungen hierzu zu entnehmen
 
Mit freundlichen Grüßen
 
gez. Gudrun Heute-Bluhm

Oberbürgermeisterin a. D.