Hauptversammlung in Offenburg: "Lebendige Städte - Aktive
Bürgerschaft"
Präsidentin Bosch: Beim Thema Bürgermitwirkung haben wir konsequent
auf Zusammenarbeit mit dem Land gesetzt
In den Bereichen Finanzbeziehungen, Ganztages- und Gemeinschaftsschule sowie
der Energiewende setzt der Städtetag ebenfalls auf gemeinsame
Lösungen Stuttgart.
Der Städtetag Baden-Württemberg stellt seine Hauptversammlung am 5.
November 2012 unter die Überschrift
Lebendige Städte Aktive Bürgerschaft.
Bürgermitwirkung
Baden-Württemberg ist ein Vorreiter der kommunalen Demokratie in
Deutschland. Seit jeher werden Bürgermeister hierzulande direkt vom Volk
gewählt. Schon seit 1956 gibt es auch Bürgerbegehren und
Bürgerentscheide. Mit dem Demokratiemix
von repräsentativer Demokratie durch Gemeinderäte und direkter
Demokratie durch Bürgerentscheide war Baden-Württemberg allen
anderen Bundesländern um Jahrzehnte voraus.
Auch die baden-württembergische Demokratie muss aber an die
vielfältigen Veränderungen in unserer Gesellschaft und
die vielfältigen neuen Kommunikationsmöglichkeiten der Menschen
angepasst werden vor allem in der Art und Weise, wie die
Bürgerinnen und Bürger in kommunalen
Entscheidungsprozessen mitwirken.
Hinweise und Empfehlungen des Städtetags Baden-Württemberg zur
Bürgermitwirkung in der Kommunalpolitik
weisen hierfür den Weg. Sie erscheinen zur
Hauptversammlung des Verbands.
80 Stadtoberhäupter sowie Expertinnen und Experten für
Bürgerbeteiligung der Kommunen, des Landes und anderer Institutionen
haben sich unter Leitung von Bürgermeister Dr. Martin Schairer von der
Landeshauptstadt Stuttgart für diese vom
Städtetagsvorstand einstimmig beschlossene Publikation engagiert. Zu den
Mitwirkenden zählten auch Vertreter des Staatsministeriums
Baden-Württemberg.
Beim Thema Bürgermitwirkung haben wir damit ganz konsequent auf
Zusammenarbeit mit dem Land gesetzt. Das ist mustergültig gelungen,
hebt Städtetagspräsidentin OB Barbara Bosch hervor und verbindet
damit ihren herzlichen Dank an alle Mitwirkenden. Bürgermeister Dr.
Schairer pflichtet der Präsidentin bei und stellt fest: Der
Städtetag unterbreitet konkrete
Vorschläge für eine angemessene Novellierung des
Kommunalverfassungsrechts und beschreibt modernes demokratisches Wirken in
unseren Städten und Gemeinden. Damit wollen wir mehr Menschen für
demokratische Mitwirkung gewinnen.
Finanzbeziehungen
Lebendige Städte benötigen eine solide Finanzausstattung. Mit dem am
5. Dezember 2011 zwischen dem Land und den Kommunalen Landesverbänden
geschlossenen Pakt für Familien mit Kindern
hat das Land ein klares Zeichen für eine sachbezogene Finanzausstattung
der Kommunen gesetzt. Mit dem Pakt wurde der jahrelange Streit zwischen den
Kommunen und dem Land zur Frage der Konnexität bei der Übertragung
der Kleinkindbetreuung
auf die Kommunen beigelegt (Wer bestellt bezahlt). Im Jahr 2013
trägt das Land 477 Mio. Euro, ab 2014 übernimmt das Land 68 % der
Betriebskosten.
Bei den diesjährigen Finanzverhandlungen konnte ebenfalls ein
tragfähiger Kompromiss zwischen Land und Kommunen ausgehandelt werden.
Zwar hat das Land auch im letzten Haushalt den Griff in die kommunale
Finanzmasse zwar nicht gelassen, aber zumindest nicht mehr ganz so hoch
ausfallen lassen, stellt Barbara Bosch fest. Der sogenannte
Konsolidierungsbeitrag
aus dem kommunalen Finanzausgleich ist um 40 Millionen auf 365 Millionen Euro
abgesenkt worden. Der Städtetag habe bereits im letzten Jahr deutlich
gemacht, dass diese Absenkung nur ein Einstieg sein könne, betont
Präsidentin Bosch. Denn dieser Eingriff nehme allen Städten im Land
wichtigen finanziellen Spielraum, so Bosch
weiter. Für den Städtetag ist es daher ein richtiges und wichtiges
Signal des Landes, dass mit der Vereinbarung vom 10. September 2012 mit dem
Land der Konsolidierungsbeitrag in den Jahren 2013 und 2014 auf 340 Mio. Euro
und in den Jahren 2015 und 2016 auf 315 Mio. Euro abgesenkt wird. Mit dieser
weiteren Rückführung der Vorwegentnahme aus dem FAG werden dem
kommunalen Finanzausgleich zumindest 150 Mio. Euro weniger entzogen. Durch die
Laufzeit über die Legislaturperiode besteht zudem Planungssicherheit.
Der Städtetag hat mit seiner Zustimmung zu dieser nur moderaten Absenkung
gezeigt, dass sich der Kommunale Landesverband als fairer Partner des Landes
versteht. Langfristig muss es aber Ziel bleiben, dass das Land seinen
Haushalt aus eigener Kraft in Ordnung bringt und der Konsolidierungsbeitrag der
Kommunen auf Null abgesenkt wird., fordert das
Geschäftsführende Vorstandsmitglied OB a. D. Prof. Stefan
Gläser.
Bereits im vergangenen Jahr ist das Land mit dem Einstieg in die Förderung
der Schulsozialarbeit
einer langjährigen Forderung des Städtetags nachgekommen. Neben der
Absenkung des Konsolidierungsbeitrags konnte am 10. September 2012 ebenfalls
vereinbart werden, dass das Land sein Drittel entsprechend dem gestiegenen
Bedarf für das Schuljahr 2013/2014 von 15 Mio. Euro auf 25 Mio. Euro
aufstockt. Damit wird die finanzielle Last des bedarfsgerechten Ausbaus
der Schulsozialarbeit auch in den nächsten Jahren zwischen den
Städten und dem Land geteilt., unterstreicht Gläser.
Mit unserer Zustimmung, im Gegenzug die Vorwegentnahme aus dem
Verkehrslastenverbund zugunsten von Projekten des Schienenpersonennahverkehrs
zu erhöhen, haben wir unsere Bereitschaft, gemeinsam mit dem Land
Lösungen zu finden, untermauert., so Barbara Bosch. Das
zusätzliche Engagement bei der Komplementärfinanzierung des
GVFG-Bundesprogramms leistet zudem einen wichtigen Beitrag zum Ausbau der
ÖPNV-Infrastruktur im Land., führt Stefan Gläser weiter
aus.
Das Ergebnis ist angesichts der Anstrengungen des Landes zur
Haushaltskonsolidierung insgesamt positiv., fasst die
Städtetagspräsidentin zusammen.
Die langjährige Forderung des Städtetags, die
Ganztagesschule
im Schulgesetz zu verankern, soll nun in einer Arbeitsgruppe aufgearbeitet
werden. Daneben konnte eine Verständigung über
die weitere Zusammenarbeit in der Kommission für Haushalt und
Verwaltungsstruktur zur möglichen Delegation von Aufgaben getroffen
werden.
Ein wichtiges gemeinsames Anliegen von Land und Städtetag ist es, den
Investitionsstau bei den Krankenhäusern abzubauen. Während das Land
2011 die Krankenhausfinanzierung um 50 Mio.
Euro aus Landesmitteln aufgestockt hat, wird in 2012 und in den Folgejahren das
Fördervolumen durch eine Umschichtung kommunaler Mittel erhöht.
Mit dieser Umschichtung sind wir nicht einverstanden und erinnern die
Landregierung an ihre Zusage, die Krankenhausförderung mit
zusätzlichen Landesmittel zu stärken., hebt Barbara Bosch
hervor. Kleinkindbetreuung
Die bessere Finanzierung der Kleinkindbetreuung durch das Land hat zu einer
deutlichen Beschleunigung des Ausbaus der Betreuungsangebote geführt, auch
wenn sich dies in der kürzlich veröffentlichten Statistik
(Betreuungsquote zum 01.03.2012 23,1 %) noch nicht niederschlägt.
Während das Land nach wie vor davon ausgeht, dass mit einer
Betreuungsquote von 34 % der ab August 2013 geltende Rechtsanspruch
erfüllt werden kann, sieht die Realität in den Städten anders
aus. Die 2007 festgelegte politische Zielgröße von 34 % wird in den
Mitgliedstädten des Städtetags 2013 erreicht, vielerorts sogar
überschritten werden. Trotzdem werden nicht alle Städte die
Einlösung des Rechtsanspruchs fristgerecht gewährleisten können,
weil die Nachfrage deutlich höher ist und insbesondere in den
größeren Städten bei 50 % oder darüber liegt.
Der immer deutlicher spürbare Fachkräftemangel sowie die Probleme bei
der Gewinnung von geeigneten Immobilien für die Schaffung neuer Angebote
erschweren den Ausbau zusätzlich. Obwohl die Städte mit Hochdruck den
Ausbau der Kleinkindbetreuung voranbringen, befürchten sie ab August
nächsten Jahres von einer Klagewelle mit erheblichen
Schadensersatzforderungen von Eltern, die für ihr über
1-jähriges Kind keinen Betreuungsplatz bekommen, überrollt zu werden.
Die Städte fordern deshalb eine Modifizierung des gesetzlichen
Rechtsanspruchs, zum Beispiel durch die Begrenzung des Rechtsanspruchs
zunächst für Kinder, die das 2. Lebensjahr vollendet haben.
Hierbei erwarten die Städte die Unterstützung des Landes. Kommt es zu
keiner Modifizierung des Rechtsanspruchs, wird den Städten nichts anderes
übrig bleiben, als durch Standardabsenkungen im personellen Bereich, bei
der Gruppengröße und den räumlichen Anforderungen alle
Möglichkeiten auszuschöpfen, um den quantitativen Anforderungen
gerecht zu werden. Die Sicherstellung eines qualitativ hochwertigen
frühkindlichen Bildungsangebotes, die gerade den Städten ein
großes Anliegen ist, steht auf dem Spiel.
Die Städtetagspräsidentin bekräftigt, dass die Städte auch
bei einer Modifizierung des Rechtsanspruchs den Ausbau der Kleinkindbetreuung
weiter voranbringen werden.
Schulen
Die Bildungslandschaft in Baden-Württemberg ist von Land und Kommunen
gemeinsam weiterzuentwickeln. Die neue Landesregierung hat mit der
Gemeinschaftsschule eine neue Schulart in den Mittelpunkt ihrer
Schulpolitik gerückt. Der Städtetag trägt diese Weichenstellung
mit, kritisiert aber die verfrühte und unausgegorene Einführung der
neuen Schulart.
Wir haben dadurch eine Gemeinschaftsschule, für die es noch keinen
Bildungsplan, keine ausgebildeten Lehrer und keine angepassten
Schulbau- und Schulausstattungsregelungen gibt, geschweige denn eine
finanzielle Beteiligung des Landes an den kommunalen Lasten dieser
Schuleinführung. Fast alle Gymnasien und Realschulen zeigen der
neuen Schulart zudem noch die kalte Schulter, während viele Haupt- und
Werkrealschulen samt ihren Trägern auf die Umwandlung zur
Gemeinschaftsschule drängen, stellt die
Städtetagspräsidentin fest. Und Stefan Gläser konstatiert:
Wir müssen unser Schulsystem von der jetzigen Fünfgliedrigkeit
(Gymnasium, Realschule, Werkrealschule, Hauptschule, Gemeinschaftsschule) in
eine Zweigliedrigkeit umwandeln, weil es sich nur so stabilisieren und
finanzieren lässt. Neben dem Gymnasium wird nur eine weitere Schulart auf
Dauer mit annähernd gleicher Schülerzahl bestehen können.
Vor der Gemeinschaftsschuleinführung hätte das Land sich mit den
Kommunalen Landesverbänden über diese große Linie der
Schulpolitik verständigen müssen, so Gläser. Das Versäumte
müsse nun schleunigst nachgeholt werden, um weitere Fehlentwicklungen und
Fehlerwartungen zu vermeiden. Der Städtetag habe dem Land dazu ein
Maßnahmenpaket unterbreitet. Energiewende
Die Koalitionsvereinbarung der Regierungsfraktionen sendet ein deutliches
Signal aus, dass die Städte und Stadtwerke als Partner gewonnen werden
sollen. Der Städtetag begrüßt das dort formulierte Angebot der
partnerschaftlichen Einbindung in den für die Energiewende
notwendigen Ausbau der Kapazitäten und in die Neuausrichtung von
Klimaschutz- und Energiewirtschaft.
Zum Gelingen der Energiewende reicht es aber nicht allein, darauf zu
verweisen wir brauchen auch die erforderlichen Rahmenbedingungen. Die
Umsetzung der jetzigen Ziele und der Energiewende braucht in weitaus
stärkerem Maße als bisher dezentrale Ansätze., betont
Städtetagspräsidentin Bosch.
Die Kommunen und ihre Stadtwerke stehen den Bedürfnissen und
Anforderungen der Bürgerschaft sowie der lokalen und regionalen Wirtschaft
am nächsten und sind am unmittelbarsten mit den Erwartungen vor Ort
konfrontiert., hebt Stefan Gläser hervor.
Die Energieversorgung ist dabei nur ein Ausschnitt der weit umfassenderen
Daseinsvorsorgeleistungen
der Kommunen insgesamt. Neben Strom und Gas, Konzessionen oder
Netzinfrastrukturen sind Städte wesentlich breiter aufgestellt. Dies gilt
auch hinsichtlich Nachhaltigkeit und Bürgerorientierung. Die
Auswirkungen unserer eigenen Entscheidungen bekommen wir hautnah zu
spüren., so Bosch. Für den Städtetag steht der Auftrag der
öffentlichen Daseinsvorsorge und keine kurzfristigen Gewinne im
Vordergrund. Es geht um regionale Wertschöpfung und die Ver- und
Entsorgungssicherheit der Bürgerinnen und Bürger., so Bosch
weiter.
Im Interesse der Bürgerschaft möchten die Städte die
Energiewende von Anfang an mitgestalten und nicht nur verwalten.
Der Städtetag vertritt die Auffassung, dass Land, Städte, Stadtwerke
und die EnBW zu einem fairen Zusammenwirken kommen müssen. Dabei sind die
jeweiligen Stärken zu berücksichtigen und gleichzeitig die
Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerbsgerechtigkeit zu gewährleisten.
Die viel zitierte Augenhöhe muss sich in der
Praxis widerspiegeln: Beim Klimaschutzgesetz
und dem integrierten Klimaschutzkonzept sind wir bereit, aktiv mitzuarbeiten
und Erfahrungen aus schon laufenden kommunalen Klimaschutzprogrammen der
Städte mit einzubringen. Aber auch hier gilt der Grundsatz der
Konnexität., betont Barbara Bosch.
Ein weiteres zentrales Thema für den Verband ist der Netzausbau.
Auch bei diesem darf die dezentrale Komponente nicht aus dem Blick geraten.
Die Bedeutung der intelligenten Verteilernetze wächst
ständig durch die Notwendigkeit des regionalen Ausgleichs der volatil
erzeugten erneuerbaren Energien. Neben der Energiewende wäre eine
Regulierungswende notwendig. Ein Musterkriterienkatalog für
die Konzessionsvergabe ist aus Sicht des Städtetags dabei kontraproduktiv.
|