Stuttgart.
Die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen zwischen Bündnis90/Die
Grünen und der CDU nimmt der Städtetag
Baden-Württemberg zum Anlass für eine erste Bewertung
des Sondierungsergebnisses. Er unterstützt die Zielsetzung von
Grün-Schwarz für die künftige
Landesregierung mit den ausdrücklichen Schwerpunkten Klimaschutz,
Gestaltung der wirtschaftlichen Transformation durch Innovation,
Dekarbonisierung und Digitalisierung sowie Stärkung des
gesellschaftlichen Zusammenhalts. Diese Ziele decken sich in der Grundrichtung
mit den Forderungen des Städtetags zur Landtagswahl 2021.
Der Städtetag sieht die Schwerpunkte der Arbeit der
künftigen Koalition in Bezug auf seine Themen in der
•
Neuausrichtung der kommunalen Schulträgerschaft und der Sicherung
der Qualität in der frühkindlichen Bildung,
•
gemeinsamen Ausformulierung der kommunalen Klimaschutz- und Verkehrspolitik,
•
Fortführung und Vertiefung unserer Anstrengungen zur
Digitalisierung unseres Landes sowie
•
Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch besondere
Anstrengungen im Bereich Integration, Kultur, Sport und in einer inklusiven
Quartiersentwicklung.
Dabei setzt er darauf, dass die neue Landesregierung in partnerschaftlichem
Zusammenhang die finanziellen Grundlagen der Kommunen wie bisher sichert und
wichtige Schwerpunkte durch gemeinsame Festlegung der Ausrichtung des
kommunalen Finanzausgleichs sichert.
Das „Klimaschutzland
Baden-Württemberg“ muss jetzt alle
gesellschaftlichen Kräfte bündeln. Der
Städtetag ist bereit, die Überzeugungskraft der
kommunalen Praxis einzubringen, um die notwendige
Überparteilichkeit sicherzustellen.
„Die neue Regierung steht vor der historisch einmaligen
Herausforderung, nach der größten Krise seit dem
zweiten Weltkrieg einen Umbau zu einer nachhaltigen Volkswirtschaft und
Infrastruktur sozialverträglich zu organisieren. Sie hat dabei
eine ebenso einmalige Chance, dies durch eine absehbare sehr langfristige
Niedrigzinsphase finanzpolitisch bewältigen zu
können. Der finanzpolitische Ansatz des Sondierungspapiers
„One in - One out“ birgt aber bei strenger
Umsetzung die Gefahr jahrelanger Selbstbeschäftigung und
Stillstand für eine Regierung, die den beschriebenen Umbau
tatkräftig angehen muss“, meint
Städtetagspräsident Dr. Peter Kurz zu Beginn der
Koalitionsverhandlungen.
Der Städtetag bietet an, gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen
Schwerpunkte zu setzen und zu priorisieren. Es gilt,
Förderprogramme zu entschlacken und mit den ordnungspolitischen
Vorgaben eng zu verzahnen. Mehr Klimaschutz bedeutet nicht automatisch mehr
Geld und hohe Bildungsstandards sind nicht immer mit höheren
Ausgaben verbunden.
Die konjunkturell und strukturell durch die Pandemie bedingten Mindereinnahmen
und Mehrbedarfe bei den Kommunen müssen auch 2021 noch einmal
abgefedert werden. In beiden Fällen bestehen Perspektiven
für eine Erholung Ende 2022. Eine
Überbrückung ist damit die richtige Strategie. Sie
stabilisiert die auch für die Ziele der Regierung erforderliche
Investitionskraft der Kommunen. Der Verweis auf die vermeintliche
Überkompensation durch den Corona-Rettungs-schirm 2020 geht fehl,
da die Gewerbesteuermindereinnahmen systembedingt erst in 2021 anfallen werden
und der lange Winter-Lockdown mit seinen schweren Schäden
für Handel und Gastronomie dabei noch nicht eingepreist ist.
Augenhöhe erwartet der Städtetag jedoch nicht nur bei
den bald anstehenden Finanzverhandlungen mit der neuen Regierung. Gerade weil
es nicht darum gehen kann, immer wieder neue Ausgaben draufzusatteln, sind die
priorisierten Aufgaben gemeinsam mit der kommunalen Praxis anzugehen.
Für den gemeinsamen Schwerpunkt Klimaschutz bedeutet es am
Beispiel der Wärmewende, dass die Potenziale und die finanziellen
Grundlagen für die Umsetzung der jetzt erstellten
Wärmepläne gemeinsam mit dem Verband Kommunaler
Unternehmen und den Kommunalen Landesverbänden erarbeitet werden
müssen. Für die Umsetzung sind die
Bundesförderprogramme auszuwerten und auf dieser Grundlage die
mögliche Nutzerfinanzierung zu berechnen. Zugleich ist die
vorgesehene Überarbeitung des EWärmeG ebenso in ihren
Auswirkungen zu berücksichtigen wie die Klimaschutz-gesetzgebung
des Bundes. Durch geschickte Kombination von finanziellen Anreizen und
ordnungspolitischen Vorgaben lässt sich der
zusätzliche Aufwand für den Steuerzahler minimieren.
„Das geht jedoch nur gemeinsam mit der Praxis und nicht als
Ansage von oben“, meint Gudrun Heute-Bluhm,
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des
Städtetags und langjährige
Oberbürgermeisterin der Stadt Lörrach.
Der Städtetag zeigt sich offen für eine
Festschreibung des Klimaschutzes als kommunale Pflichtaufgabe. Damit
können finanzielle Schwerpunkte in kommunalen Haushalten gesetzt
und priorisiert werden. Es darf freilich nicht zu einer Verschiebung der
finanziellen Verantwortung führen.
Auch das Kommunalabgabengesetz soll klimaschutzorientiert umgestaltet werden
und klimagerechtes Verhalten „belohnen“.
Die vorgesehene Einführung einer Mobilitätsabgabe
sehen wir grundsätzlich positiv, wenn sie dazu dient,
zusätzliches Potenzial für den ÖPNV zu
erschließen.
Über die Ausgestaltung und Neudefinition der
Schulträgerschaft im 21. Jahrhundert will der
Städtetag die bereits laufenden Gespräche mit dem
Kultusministerium unter neuer politischer Führung fortsetzen. Es
geht dabei um eine praxisorientierte und effektive Aufgabenverteilung im
Bereich der Digitalisierung ebenso wie um die Sicherung des
Qualitätsanspruchs bei der kommunal organisierten
Ganztagesbetreuung. Schulleitungen können bei den
Verwaltungsaufgaben durch eine kommunale Verwaltungsleitung oder
-unterstützung entlastet werden, wenn hierfür im
Gesamtpaket dieser Themen ein finanzieller Ausgleich gefunden wird.
Als sehr innovativen Ansatz begrüßt der
Städtetag die geplante sozialindexbasierte Ressourcenzuweisung:
mehr pädagogische Kraft an schwierigen Schulstandorten kann ein
weiterer wichtiger Baustein für mehr Bildungsgerechtigkeit sein
neben dem Ausbau des rhythmisierten Ganztagesunterrichts. Auch
multiprofessionelle Teams in Grundschulen können die
unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten in der Grundschule besser
berücksichtigen.
Drängender noch ist aus Sicht des Städtetags diese
Frage für die Gewinnung von dringend benötigten
Kräften in den Kitas. Auch hier sind die begonnenen
Gespräche mit möglicher Finanzierung durch
Bundesprogramme schnell zum Ergebnis zu führen.
Die Digitalisierung wird auch die neue Legislaturperiode bestimmen. Die im
Sondierungspapier vorgesehene Ergänzung der bereits zugesagten
Bundesmittel für die Breitbandversorgung ist dringend, um eben
diese Mittel vor dem drohenden Verfall zu retten!
Die Digitalisierung der Verwaltung ist das Zukunftsthema. Sie erfordert einen
fortschreitenden Kulturwandel. Die Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes kann
Baden-Württemberg mit dem sogenannten Universalprozess bald
erfüllen. Die dringend erforderliche Verschlankung mancher
Genehmigungsprozesse setzt auf einen digitalen Workflow und die grundlegende
Überarbeitung der Abläufe mit Blick auf digitale
Möglichkeiten. Kooperative Arbeitsformen haben sich dabei
bewährt, setzen aber voraus, dass die Mitarbei-terinnen und
Mitarbeiter in den Rathäusern mitgenommen, motiviert und
eingebunden werden. Hierfür ist die schon bisher vom
Innenministerium zielorientiert geförderte und im
grünen Wahlprogramm explizit erwähnte Digitalakademie
mit dem bundesweit beachteten Modell der kommunalen Digitallotsen der richtige
Weg.
Auch sonst setzt der Städtetag darauf, dass die von den
künftigen Koalitionspartnern parallel in beiden Wahlprogrammen
gesetzten Schwerpunkte auch dort unstreitig sind, wo sie im Sondierungspapier
nicht erwähnt sind.