Städtetagspräsident Kurz stellt
Schwerpunktthemen vor
Stuttgart. Dr. Peter Kurz ist seit 1. Juli 2018 Präsident des
Städtetags Baden-Württemberg. Jetzt sprach der Oberbürgermeister
der Stadt Mannheim einige Themen der nächsten Zeit an. Zentral ist
für ihn die Handlungsfähigkeit und den Einfluss der Städte in
der Gestaltung der aktuell drängenden Fragen, beispielsweise des
Wohnungsbaus, der Migration und Integration sowie der Gestaltung der lokalen
Demokratie, zu erhöhen.
Wohnungsbau
Neben dem aktuellen Handlungsdruck und dem Wunsch nach raschen Lösungen
wird immer deutlicher, dass es an langfristig angelegten Konzepten und an
Gestaltungsmöglichkeit vor Ort zur Eindämmung von Spekulation fehlt.
Hier haben der baden-württembergische und der bayerische Städtetag
Ende Juni ein Positionspapier vorgelegt, das beispielsweise ein generelles
Vorkaufsrecht der Kommunen für Grundstücke auf eigenem Hoheitsgebiet
fordert sowie eine Verstetigung der Instrumente des Baugesetzbuches, um eine
nachhaltige Innenentwicklung zu realisieren.
Migration und Integration
Die Dauerdebatte um Migration gefährdet allgemein bestehende
Integrationserfolge, die gesetzlichen Regelungen konkrete Integrationserfolge
bei Geflüchteten. Der Städtetag wird sich in den nächsten Wochen
mit der Frage, wie wir Migration organisieren und begegnen sollten, befassen.
Von einem Einwanderungsgesetz erwartet der Städtetag auch eine
pragmatische Lösung für diejenigen, die sich integriert haben, aber
keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben. Damit sei kein freier Wechsel nach
eigenem Belieben zwischen den Systemen gemeint, sondern pragmatische
Lösungen, die menschlich sind und im gesamtwirtschaftlichen Interesse
liegen. Es stellt sich immer öfter die Frage: Warum sollen die gut
Integrierten gehen? Das fragen Freunde, Nachbarn und Arbeitgeber der
betroffenen Flüchtlinge, viele Rathauschefs und -chefinnen kennen solche
Fälle. Für Menschen, die integriert sind und Arbeit haben, muss die
Politik deshalb Möglichkeiten schaffen, bleiben zu können. Menschen,
die sich von Anfang an bemüht haben um Sprache, um Arbeit und
darum, hier bei uns anzukommen, denen müssen und wollen wir eine
Perspektive und eine Chance bieten.
Handlungsfähigkeit der Städte
In Zeiten, in denen zum Beispiel dringend benötigte Baugebiete für
neuen Wohnraum durch Bürgerentscheide verhindert werden können, will
sich der Städtetag zukünftig verstärkt mit der Frage nach der
Handlungsfähigkeit der Kommunen beschäftigen. Die im Sinne der
Stärkung der Demokratie gut gedachten Instrumente haben leider eine
Kehrseite: Sie können die Handlungsfähigkeit der Kommunen im Sinne
des Gemeinwohl einschränken, soziales Kapital und Vertrauen verzehren und
damit das Gegenteil des beabsichtigten erreichen.
Die Novelle der Gemeindeordnung 2015 hat die Hürden für
Bürgerbegehren und -entscheide gesenkt, die Anwendungsfälle
ausgeweitet und das Kommunalwahlrecht begünstigt eine Zersplitterung der
Gemeinderäte. So geht Stabilität verloren. Unter diesen
Veränderungen werden auch die Gremien selbst spürbar nervöser,
was das Zutrauen in die Institutionen weiter schwächt.
Die grün-schwarze Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die
Neuerungen aus 2015 der Gemeindeordnung zu evaluieren. Dabei will sich der
Städtetag mit den Erfahrungen seiner 189 Mitglieder aktiv einbringen:
Uns beschäftigt grundsätzlich die Frage, ob die neuen
beziehungsweise abgeänderten Instrumente eine Chance sind, die
Gesellschaft zusammenzuhalten, oder ob sie eher die Gefahr bergen, sie zu
spalten, so Kurz weiter. Die Frage muss sein: Was ist praktisch
wirksam, um Zusammenhalt, Handlungsfähigkeit und Vertrauen zu
stärken? Finanzen
In der Gemeinsamen Finanzkommission haben sich Land und Kommunen kurz vor den
Sommerferien auf ein Maßnahmenpaket geeinigt. Wir haben in der
Finanzkommission gleich mehrere große Knoten durchschlagen, sagte
Präsident Peter Kurz und betonte das große finanzielle Engagement
von Gemeinden, Städten und Landkreisen: Die Kommunen haben von sich
aus eine intensive finanzielle Beteiligung an großen Zukunftsaufgaben des
Landes angeboten. Das Land investiert rund eine Milliarde Euro, die
Städte, Gemeinden und Landkreise beteiligen sich mit rund 600 Millionen
Euro an der Finanzierung. Sie leisten damit einen erheblichen Beitrag aus der
kommunalen Steuermasse, um die Verkehrsinfrastruktur auf Schiene und
Straße zu fördern, und so den bisherigen Landesanteil zu verdoppeln.
Im Gegenzug beteiligt sich das Land in erheblichem Maße an den
Gemeinschaftsaufgaben und leitet nicht nur die Bundesmittel weiter. Auch bei
der Digitalisierung der Schulen kommen wir einen großen Schritt weiter,
um mit einer pauschalierten Anschubförderung die Zeit bis zum
angekündigten Bundesprogramm für dieses wichtige Zukunftsthema zu
überbrücken.
Ein großer finanzieller Beitrag aus der kommunalen Steuermasse geht in
die Finanzierung der großen Förderprogramme, deren genaue
Ausformulierung nun als nächstes auf der Tagesordnung steht.
So soll aus Sicht des Städtetags das
Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG) in einigen Punkten angepasst
werden: die Förderquote soll erhöht werden und die Förderung bei
der Beschaffung von Schienenfahrzeugen sowie beim Bau und der Sanierung der
Betriebshöfe müsse wieder mit Geld hinterlegt werden, so die
Vertreter des Verbandes.
Bei der Kinderbetreuung wird die Förderung von der bestehenden
Festbetragsförderung pro Kopf hin zu einer prozentualen Förderung
gehen.
Bei der Digitalisierung der Schulen haben die Kommunen erfreulicherweise ihre
Vorstellung durchsetzen können, eine pauschalierte Förderung für
Investitionen im Rahmen der Multimediaempfehlungen zu bekommen. Kurz:
Die Hälfte des zur Verfügung stehenden Geldes muss noch dieses
Jahr im Haushalt zur Verfügung stehen unabhängig davon, ob der
Bund das hinterher anerkennt oder nicht, damit die Kommunen bis zur
Beschlussfassung ihrer Haushalte 2019 wissen, womit sie rechnen und planen
können. Wir sind sehr froh, dass das Land die getroffenen Vereinbarungen
nun zügig umsetzt und bereits erste Gesetzentwürfe erarbeitet.
Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG)
Nach den abgeschlossenen Finanzverhandlungen muss auch das BTHG weiter
konkretisiert werden. Mit dem neuen bundesgesetzlichen Rahmen ist bei der
gesellschaftlichen Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen
nicht weniger als ein Paradigmenwechsel vorgesehen: Weg von einer
Förderung von Hilfeeinrichtungen und reiner Betreuung und Fürsorge,
hin zur Förderung der Potentiale ergo: nicht das sehen, was
fehlt, sondern die gegebenen Fähigkeiten unterstützen und
jeden einzelnen Menschen in seinen Teilhabemöglichkeiten individuell
stärken. Der Ansatz ist neu und noch nicht für alle greifbar, dazu
müssen nun die notwendigen Mittel bereitgestellt und strukturelle
Weiterentwicklungen in der Behindertenhilfe vorangebracht werden.
Beim neuen Teilhaberecht geht es auch darum, wie sich unsere Gesellschaft
mit Beeinträchtigung und mit Vielfalt auseinandersetzt, sagte
Gudrun Heute-Bluhm, geschäftsführendes Vorstandsmitglied, dazu
gehören nach unserer Auffassung ganz praktisch auch die Stadt- und
Quartiersentwicklung und die inklusiven Quartiere sowie die Frage: Wie wird das
Individuum in die Gesellschaft eingebunden und wie wirkt sich das finanziell
aus?
Der Städtetag bringt sich nicht nur in gesetzliche Neuregelungen ein,
sondern wie beim Quartier 2020 auch in quartiersübergreifende und
interdisziplinäre Ansätze der Stadtentwicklung, Gudrun Heute-Bluhm:
Einige Städte haben sich bereits auf den Weg gemacht, neue
Stadtteile zu bauen, in denen sich die Menschen über eine längere
Spanne ihres Lebens zu Hause fühlen können. Ulm und Mannheim mit
ihren Quartieren Eselsberg und Franklin sind Beispiele, wie dabei auch die
Potentiale der Digitalisierung von der Mobilität bis zur häuslichen
Pflege nutzbar gemacht werden können. |
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